Fiktion und Realität
Hintergründe und Entstehung des Romans
Von der Idee zur Gestaltung
Kein gesellschaftlicher Konflikt hat in Deutschland die Gemüter so sehr bewegt wie die Auseinandersetzung um die Atomkraft. Nichts hat mehr Menschen auf die Straße gebracht. Und nichts anderes als der Wunsch, eine tragfähige Alternative zu schaffen, hat zum Erfolg der Energiewende in Bürgerhand geführt, die trotz vieler Hindernisse immer noch andauert.
Dies alles wollte ich in einem Roman einfangen – zugegeben, es war eine große Herausforderung. Als ich 2009 mit meinen Recherchen begann, hatte ich noch keine Ahnung, wie ein solcher Roman aussehen könnte.
Nach der Katastrophe in Fukushima gab mir der Tschernobyl-Kongress in Berlin, an dem ich im April 2011 teilnahm, den entscheidenden Anstoß für die dann entstehende Geschichte. Der Kongress wurde zum Ausgangspunkt von „Gefahr ohne Schatten“. Handlung und Figuren des Romans sind fiktiv, die politischen Hintergründe jedoch beruhen auf Tatsachen.
Die Hintergrund-Fakten
Die wichtigsten Berührungspunkte zwischen Geschichte und Realität sind im Folgenden kurz zusammengefasst.
Tschernobyl-Kongress in Berlin
Zum 25. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl lud die kritische Ärzteorganisation IPPNW zu einem Kongress in Berlin ein. In der abschließenden Veranstaltung am Sonntag wurden einige herausragende Persönlichkeiten mit dem Nuclear-Free Future Award prämiert, darunter auch die russische Aktivistin Nadezhda Kutepova. Sie diente mir als Vorbild für die Romanfigur Swetlana Odinzowa, die in Kapitel 17 auftritt.
Störfälle in den AKW Forsmark, Krümmel und Biblis
Am 25. Juli 2006 geschah im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark ein schwerer Unfall, der um Haaresbreite einen Super-GAU hätte auslösen können.
Als bedenklich muss man auch den Transformatorenbrand des AKW Krümmel bewerten, der sich im Juni 2007 ereignete. Greenpeace brachte damals die Tragweite des Unfalls und das mangelhafte Krisenmanagement an die Öffentlichkeit. Ob die Organisation dabei auf Informationen eines Insiders zurückgreifen konnte (so wie im Roman), ist mir nicht bekannt. Auf öffentlichen Druck stellte Vattenfall jedoch seinen internen Sicherheitsreport zur Verfügung. Ein Atomexperte von Greenpeace fasste die wichtigsten Erkenntnisse daraus zusammen.
Deutschland kam einem Super-GAU wahrscheinlich im Dezember 1987 bisher am nächsten, und zwar durch einen gravierenden Unfall im Atomkraftwerk Biblis. Von den deutschen Aufsichtsbehörden verschwiegen, wurde der Vorfall erst ein Jahr später durch einen Artikel in einer amerikanischen Fachzeitschrift bekannt.
Der Fall Belene - RWE als Investor für ein AKW in Erdbebengebiet
Im Jahr 2008 erhielt der Energiekonzern RWE den Zuschlag für die 49-prozentige Beteiligung an dem geplanten Atomkraftwerk im bulgarischen Belene. Trotz der dortigen Erdbebengefahr, die Expert:innen immer wieder anmahnten, ließ der Stromriese ein weiteres proteinreiches Jahr verstreichen, bevor die Entscheidung fiel, sich als Investor zurückzuziehen. In den Jahren zuvor wurde Kritiker:innen dieses Projektes, auch durch Morddrohungen, das Leben schwer gemacht.
Ein Atomlobbyist in der Atomaufsicht
Im Dezember 2009 berief Umweltminister Röttgen (CDU) den Atomlobbyisten Gerald Hennenhöfer zum Chef der Abteilung für Reaktorsicherheit. Kein unbekanntes Gesicht im Bundesumweltministerium und eine umstrittene Personalie. Trotz massiver Proteste durch die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt wurde Hennenhöfer erst vier Jahre und einen Regierungswechsel später durch Barbara Hendricks (SPD) wieder entlassen.
In „Gefahr ohne Schatten“ kommt die .ausgestrahlt-Kampagne zur Sprache. Die Rolle des „Atomlobbyisten“ im Roman ist jedoch nicht deckungsgleich mit seinem Vorbild. Die Kriminalgeschichte wurde hinzugedichtet und entspricht in keiner Weise der Person oder auch nur der Funktion von Herrn Hennenhöfer.
Die Atommeiler in Gundremmingen – ein Problemfall für sich
Nach Einschätzung vieler Experten gehörte das AKW Gundremmingen zu den gefährlichsten in Deutschland – hauptsächlich wegen konstruktiver Mängel.
Einen Whistleblower aus der Betriebsmannschaft – so wie im Roman – gab es nicht. Er ist frei erfunden.
Der Fall Angra 3 - der Staat als Bürge für ein hochriskantes AKW
Im Februar 2010 erteilte die Bundesregierung eine grundsätzliche Bürgschaft für das brasilianische Atomkraftwerk im Umfang von 1,3 Milliarden Euro. Damit unterstützte sie ein hochriskantes Projekt und einen Standort, der ungeeigneter kaum sein könnte. Das dortige Küstengebirge ist erdbeben- und erdrutschgefährdet und wird mittelfristig auch nicht von Überschwemmung verschont bleiben.
Unterwanderung der Medien – Dossier über PR-Strategie der Atomlobby
Durch einen Whistleblower und einen umfangreichen taz-Bericht wurde im Herbst 2011 bekannt, dass die vier deutschen Stromkonzerne über ihre Lobbyorganisation „Atomforum“ eine höchst umstrittene „Kampagne“ in Auftrag gaben. Demnach sollte die Düsseldorfer Agentur DAA laut Unterlagen „bis zur Bundestagswahl 2009 Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen.“
Eines der im Roman auftauchenden Geheimdokumente ähnelt in groben Zügen diesem Papier. Die Details sind allerdings frei erfunden, genauso wie das zweite Dossiers, das es in dieser Form niemals gegeben hat.
Vieles deutet aber darauf hin, dass Stromkonzerne und Atomlobbyisten enorme Geldsummen einsetzen, um auf welche Weise auch immer die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Ein weiteres konkretes Beispiel hierfür liefert das Strategiepapier einer Berliner PR-Agentur, das für E.ON erstellt wurde.
Abschaltung von 8 Atommeilern und die Rolle der Massenproteste
Im Frühjahr 2011 drängte Angela Merkel vor allem aus machtstrategischen Gründen darauf, die acht ältesten Atommeiler abzuschalten. Dabei spielte nicht nur die Landtagswahl in Baden-Württemberg eine Rolle – der Kanzlerin wurde auch bewusst, dass ihre Macht deutlich schwinden könnte, wenn sie gegen den Willen einer nie dagewesenen Protestbewegung weiterhin an der Atomkraft festhielte.